Baukultur – regional und zeitgemäß

Seine prächtigen historischen Höfe haben den Schwarzwald als touristisch erfolgreiche Region geprägt. Bild: suju/pixabay.com

Gebäudebestand als wichtiges Kriterium für touristische Zukunft

Woran denkt man, wenn man das Wort „Baukultur“ hört? Das klingt nach intellek-tuellem Anspruch, akademischem Wissen, theoretischer Abhandlung – in jedem Fall nach etwas, das nicht viel mit unserem Alltag zu tun hat. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Wir sind tagtäglich von Baukultur umgeben; Baukultur hat Auswirkungen auf uns und prägt unserer Verhalten.
Zwar sagt die Bundesstiftung Baukultur in ihrem Essay: „Baukultur ist … Ansichts-sache.“ Doch es gibt auch genauere Definitionen, wie diese vom Bauministerium: „Der Begriff Baukultur beschreibt die Herstellung von gebauter Umwelt und den Umgang damit. Das schließt Planen, Bauen, Umbauen und Instandhalten ein. Baukultur […] kann nur entstehen und gelingen, wenn alle an Planung und Bau Beteiligten aktiv zusam-menwirken und die gesamte Gesellschaft Verantwortung für ihre gebaute Umwelt und deren Pflege übernimmt.“
Dass die Einflüsse des Bauens und der Baukultur nicht nur Privatinteressen oder die von Fachleuten betreffen, sondern vor allem wirtschaftliche Veränderungen herbeiführen können, belegen Beispiele wie das Guggenheim-Museum in Bilbao oder
die moderne Holzbauarchitektur in Vorarlberg. In beiden Beispielen wurde der Architekturtourismus dadurch erst geboren.

Welchen Stellenwert der Staat in der Baukultur sieht, ist auch daran zu erkennen, dass in Deutschland ein eigenes Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und
Städtebau“ eingerichtet wurde, um mit Forschungsfeldern, Studien, Initiativen und Modellvorhaben Maßnahmen und innovative Planungen zu fördern.

Potenzial für den Tourismus

Vor allem im ländlichen Raum ist das Bewusstsein für die Möglichkeiten und das Potenzial, das die Verbindung von Tourismus und Baukultur ergibt, eher gering vorhanden. Mit dem Thema „Regionale Baukultur und Tourismus“ hatte sich
bereits 2015 eine Forschungsarbeit des Bauministeriums befasst.
Darauf aufbauend, wurde 2016 das Forschungsfeld „Baukultur und Tourismus – Kooperation in der Region“ gestartet, bei dem sieben Initiativen mit ihren jeweiligen Modellvorhaben ausgewählt wurden, um die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure zu erproben und zu erforschen, welche Werkzeuge sich besonders gut eignen.
Im Zeitraum von insgesamt dreieinhalb Jahren ging es vor allem darum, das Wissen zum regionalen Bauen und den Einflüssen auf den Tourismus zu erweitern, die Zusammenarbeit und den Dialog zu fördern und baukulturelle Kompetenzen
auf regionaler Ebene weiter zu stärken. Dabei wurden unter anderem die folgenden Fragestellungen und Aufgaben bearbeitet:
• Wo kann der Tourismus durch eine Baukultur- Qualitätsoffensive gesteigert werden?
• Welche Wechselwirkungen bestehen? Welche Strategie ist geeignet?
• Wie lässt sich eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Ebenen erreichen?
• Erbringt die Praxis den Nachweis für eine höhere wirtschaftliche Wertschöpfung durch die Verknüpfung von Baukultur und Tourismus?
• Vernetzung der relevanten regionalen Akteure aus Baukultur und Tourismus
• Initiierung von Prozessen zur Förderung der Zusammenarbeit beider Disziplinen
• Entwicklung einer geeigneten „Baukultur- und Tourismus-Strategie“, die auch Werbestrategien zur Vermarktung von Baukultur aus der Nutzerperspektive einschließt
• Durchführung der Entwicklungsplanung.


Besucher und Touristen schätzen das Besondere, das Einmalige einer Region. Zunächst sind dies die Landschaft und die Natur mit allen regionaltypischen Eigenschaften.
Dazu kommt das Angebot an Gastronomie, an Wellness und Wohlfühleinrichtungen, verbunden mit einem breiten Spektrum an Kultur, das von Gästen hoch eingeschätzt wird.
Doch dies reicht alleine nicht. Genauso wichtig ist die „gewachsene“ Baukultur, die durch ihre aus den klimatischen Bedingungen entstandene Bauweise landschafts-prägend ist. Die ortstypische Architektur bietet einen guten Ausgangspunkt, um dem Wunsch der Besucher nach Regionalbezügen und mehr Authentizität nachzukommen. Schaut man sich jedoch viele der touristischen Betriebe genauer an, fällt auf, dass ein regionaler Stil kaum noch zu erkennen ist.
Oft genug werden in den Gebäuden und ebenso in den Innenräumen die regionalen Bau- und Handwerksformen nur als Versatzstücke eingesetzt, um den Anschein von Regionalität zu wecken. Es ist deshalb notwendig, eine Synthese von Tradition und Moderne zu entwickeln, die Regionalbezüge herstellt, aber über eine klischeehafte Formensprache hinausgeht.
Bei Umbauten und Sanierungen hat sich eine neue Nutzung dem Gebäude anzupassen und die Bewahrung von wertvollem Kulturgut durch Instandsetzung und Umnutzung hat Vorrang vor Erneuerung und Austausch. Umbaumaßnahmen sind behutsam mit regionaltypischen Baustoffen auszuführen.
Adaptionen sollten deutlich erkennbar bleiben.

Einblick in Modellprojekte


Ein sehr wichtiger Teil der Arbeit bestand im Austausch zwischen den Modell-vorhaben. Eine Grundannahme des Forschungsfeldes ist, dass zwar die Regionen unterschiedlich sind und jedes Gebiet mit anderen Schwierigkeiten zu
kämpfen hat und die Vorgehensweise eine andere ist, dass jedoch die Werkzeuge übertragbar sind, sodass die Mitglieder der Projekte voneinander lernen können.
So traf man sich in regelmäßigen Abständen in den jeweiligen Regionen. Den Auftakt machte das Netzwerktreffen im Modellvorhaben Sauerland (Nordrhein-Westfalen) in Arnsberg und am Sorpesee.
Im Sauerland ist das Thema Baukultur bereits in vielen Aktivitäten im Bereich Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Tourismus verortet. Doch waren dies meist Unterneh-mungen einzelner Personen oder Städte. Was bisher in der Region fehlte, war eine einheitliche Vorgehensweise und vor allem die allgemeine öffentliche Akzeptanz und das Bewusstsein für die Wichtigkeit einer regionalen Baukultur. So befassten sich die drei Aufgabenfelder des Modellvorhabens auch intensiv mit der Öffentlichkeitsarbeit. Es gab eine Fotoaktion, mehrere Ausstellungen wurden durchgeführt und mit der neuen Internetpräsenz www.sauerland-baukultur.de wurden die regionale Baukultur und Best-Practice-Beispiele gezeigt. Ein wichtiges Etappenziel war die „Charta Sauerland- Baukultur“, mit der eine Selbstverpflichtungserklärung zum Erhalt und zur Weiterqualifizierung des baukulturellen Erbes sowie der innovativen Weiterent-wicklung der Baukultur des Sauerlandes erarbeitet wurde. Weiter geplant ist die Einrichtung einer Netzwerkstelle zur Weiterbeförderung der Baukultur- und Tourismusregion Sauerland.
Die Region Weißwasser und Lausitzer Neißeland (Freistaat Sachsen) hat dagegen eine völlig andere Problemlage.
Weißwasser hat als ehemalige Glasmetropole einen großen Schatz an Industriekultur und Architekturmoderne. Dazu kommt die Landschaft eines UNESCO Geoparks, die viele Interessierte anzieht. Die Verknüpfung dieser beiden Bereiche ist jedoch nicht vorhanden – durch fehlende Instandhaltung der Industriegebäude ist dieser bau-kulturelle Schatz sogar gefährdet. Beim Modellvorhaben ging es also darum, Wege zu finden, wie die vorhandene regionale Baukultur sichtbar gemacht werden kann und dieses Alleinstellungsmerkmal im Tourismusmarketing verankert wird. Ein wichtiger Meilenstein war die Gründung eines Netzwerkes und die Erprobung von touristischen Vermittlungsmethoden an Beispielobjekten.
Beim Projekt Elbe-Weser (Niedersachsen) wurden Ziegel und Feldsteine als wesent-liches Merkmal der Gebäude und der Baukultur identifiziert. So wurde mit dem Projekt „Spur der Steine“ touristische Entdeckungstouren durch die Region entwickelt, die das traditionelle Bauerbe mit aktuellen Bauten verbindet. Insgesamt sind 150 Gebäude dargestellt, die die regionalen Bauweisen und ihre moderne Weiterentwicklung zeigen.
Die Stadt Mainbernheim in Bayern hat eine weitgehend intakte Altstadt und ist als Ensemble denkmalgeschützt.
Trotzdem gibt es leerstehende Gebäude und nicht mehr genutzte Anwesen. Das Modellvorhaben hatte sich zum Ziel gesetzt, nach dem Vorbild des italienischen „Albergo Diffuso“ aus diesen Gebäuden ein Hotel zu entwickeln und so die Stadt behutsam weiterzuentwickeln. Die Idee besteht darin, dass Zimmer, Rezeption und Restaurant nicht im gleichen Gebäude, sondern über die Stadt verstreut gelegen sind. Mit dieser besonderen Beherbergungsart sollen das touristische Potenzial von Mainbernheim befördert und neue Zielgruppen angesprochen werden. Der Ent-stehungsprozess ist noch nicht abgeschlossen – man kann gespannt sein, wie sich das Projekt entwickelt.
Das Hauptanliegen der Modellregion Uckermark-Barnim (Brandenburg) – die Abschlussveranstaltung des Forschungsfeldes fand im Kloster Chorin statt – bestand darin, die Gebiete Tourismus und Baukultur zusammenzubringen und zu vernetzen, um den Erhalt der Kulturlandschaft zu sichern. In der Region ist durch das Biosphären-reservat Schorfheide-Chorin ein fundiertes Wissen über regionale und historische Bauweisen vorhanden. Dieses gilt es, für touristische Zwecke zu übersetzen und zu nutzen. Dazu wurden baukulturelle und touristische Potenziale der Region weiter ausdifferenziert und entwickelt und ein Leitbild formuliert, das die baukulturelle Identität der Region darstellt und dem sich alle beteiligten Akteure verpflichten.
Im Prozess wurden die Kriterien für regionaltypische Baukultur und die Tourismus-relevanz ermittelt, die sich auch in der Broschüre „Regionaltypisches Bauen und Sanieren“ wiederfinden. Diese Veröffentlichung richtet sich vor allem an Bauwillige und Genehmigungsbehörden, sodass auch hier das Bewusstsein für die Wichtigkeit von regionaler Baukultur geschärft wird.
Das Gebiet Mecklenburg-Strelitz (Mecklenburg-Vorpommern) ist eine ländliche und strukturschwache Region.
Die Entwicklung eines qualitätsvollen und nachhaltigen Tourismus ist umso wichtiger. Die vorhandene Architektur stammt oft aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Die Verbindung von Baukultur und Tourismus hat bereits jetzt einen hohen Stellenwert – jedoch meist nur in Bezug auf die Revitalisierung historischer Anlagen wie Kirchen, Schlössern und Parks. So war es das Anliegen des Modellvorhabens, die Baukultur auch in modernen Bauten in die Tourismusbewerbung aufzunehmen und insgesamt die Baukultur noch stärker in Verbindung zum Tourismus zu bringen. Ein Fazit des Projektes war, dass Baukultur im ländlichen Raum auch die Qualität des Naturraumes braucht, um als touristische Destination besonders nachgefragt zu werden.

Viel Engagement im Schwarzwald

Ähnlich sieht es bei der Modellregion Südschwarzwald (Baden-Württemberg) aus. Als Deutschlands größtes Mittelgebirge ist der Schwarzwald mit dem Wechsel zwischen
Naturlandschaft und bäuerlicher Kulturlandschaft eine Region mit einer wunderbaren Tal- und Berglandschaft mit nahezu intakter Natur. Das ist ein Pfund, mit dem es sich
wuchern lässt und so zeigen die touristischen Werbebroschüren auch immer die schönen Landschafts- und Naturimpressionen, um Besucher für die Region zu interessieren.
Auf der anderen Seite ist die Region strukturschwach, viele Bewohner finden keine Arbeit in ihren Wohnorten und so schrumpfen viele Gemeinden und verlieren an Attraktivität. Im Handlungsfeld Baukultur tut sich bereits seit 2010 einiges in der Region. Mit dem Auszeichnungsverfahren „Baukultur Schwarzwald“ (das 2016 erneut durchgeführt wurde) wurden erstmalig Beispiele aufgespürt, bei denen die traditionellen Gestaltungs- und Bauweisen des Schwarzwaldes in eine moderne Sprache überführt wurden oder auch tradierte Konstruktionstechniken mit dem Blick in die Zukunft wieder eingeführt wurden.

Inzwischen gibt es viele neue Initiativen, Netzwerke und Kooperationen, bei denen sich viele im Schwarzwald tätige Institutionen in Projekten und unterschiedlichen Kontexten zusammenfinden und gemeinsam die Bedeutung von regionaler Architektur und Baukultur für die Identifikation mit dem Ort und für eine lebenswerte Umwelt beförderten.
Das Modellvorhaben hatte als Ziel, die bereits vorhandene Netzwerkstruktur zwischen Baukultur und Tourismus weiter zu stärken, die Gestaltungsberatung im Naturpark
Südschwarzwald einzurichten und vor allem bei den Gastronomen und Hoteliers ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welchen Einfluss die regionale Baukultur auf den Tourismus hat und wie wichtig dies für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen ist. Schon lange existierte die Forderung nach einem Zentrum im Schwarzwald, das als Dachorganisation alle Akteure der Region an einen Tisch bringt und dazu dient, alle Belange des Schwarzwalds und seiner Bewohner nachzuverfolgen und die Weiterent-wicklung der Region voranzutreiben.
Seit 2018 wurde von einer Projektgruppe ein Gründungskonzept erarbeitet für das Kompetenzzentrum „bauWERK SCHWARZWALD“. Dieses wird zu einem wesentlichen
Träger der Weiterentwicklung der regionalen Baukultur werden.
Die Gründungsversammlung im Frühjahr 2020 musste jedoch aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben werden.

Weitere Informationen finden Sie unter folgendem Link:

Baukultur und Tourismus – Kooperation in der Region

Hinweis

Dieser Artikel erschien in dieser oder ähnlicher Form im Magazin „Denkmalsanierung 2020/2021“

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Klimaschutz und Baukultur

Artikel aus der Zeitschrift „Denkmalsanierung 2019/2020“ von Dr. Diana Wiedemann