Umnutzungen historischer Gasbehälter

Bild: Dr. Barbara Berger (li.) und Dr. Heike Piehler auf dem Kongress zum Industriekulturerbe "2° Stati Generali del Patrimonio Industriale" in Rom. Foto: Joachim Ailouche

Neue Nutzungen stillgelegter Gasbehälter waren eines der Themen auf dem internationalen Fachkongress zum Industriekulturerbe in Rom.

Das bürgerschaftlich entwickelte Konzept für eine neue, zivile Nutzung der stillgelegten Freiburger Gaskugel wurde am 9. Juni 2022 auf dem internationalen Kongress zum Industriekulturerbe in Rom vorgestellt. Die Veranstaltung wurde vom Internationalen Komitee für Industriekulturerbe TICCIH gemeinsam mit dem italienischen Verband für Industriearchäologie AIPAI ausgerichtet.

Der dreitägige Kongress bot zu elf Schwerpunktthemen mit 35 Einzelforen eine breit gefächerte Plattform für den Austausch von Forschungsergebnissen, Methoden und Praxisbeispielen und brachte die jeweiligen Akteur*innen zusammen. Einer der Schwerpunkte war die Umnutzung stillgelegter Industriebauwerke, wobei der Fokus u. a. auf der Bedeutung, Sanierung und Umnutzung ausgedienter Gasbehälter lag. Als ikonische geometrische Baukörper sind solche „Kathedralen der Industrie“ oftmals stadtbildprägend. Professorin Sara De Maestri von der Universität Genua eröffnete das Forum aber auch mit dem Hinweis, dass die meisten dieser Bauwerke außer Betrieb genommen und abgerissen würden. Bei den erhaltenen, aber nicht mehr genutzten Gasbehältern sei die Wiederherstellung und Aufwertung ein langwieriger und komplexer Prozess.

Die in den Vorträgen dargestellten Beispiele belegen, dass sich dieser Weg am Ende lohnt. Wo es gelingt, die Ingenieurbauwerke vor dem Abriss zu bewahren und mit neuem Leben zu füllen, können neue kulturelle Orte von extravagantem industriellen Charme entstehen. Europaweit gibt es hierfür Beispiele: In Deutschland zeigen etwa der Panometer Dresden sowie die Gasometer in Leipzig und Pforzheim in den historischen Gasbehältern aus unterschiedlichen Epochen die berühmten 360°-Panoramen des Künstlers Yadegar Asisi. Der Gasometer in Oberhausen gilt heute als Europas höchste Ausstellungshalle. Zur schillernden Event-Location wurde der neoklassizistische Gasometer der Westergasfabriek in Amsterdam. Der Gasspeicher in Kopenhagen wird als Østre Gasværk Teater für Theater-, Tanz- und Musikaufführungen genutzt. Innerhalb der Stahlkonstruktion des Gasometers in Barcelona wurde der Parc de la Barceloneta angelegt. Das ehemalige Gaswerksareal in Athen wurde zum Kulturpark Technopolis City of Athens umgenutzt, der dortige Gasometer zum Museum. Ein Ensemble von vier Wiener Gasometern wurde zu einem Komplex mit Wohnungen, Einkaufsläden, Büros und Kulturräumen ausgebaut. In London wurde das Gasholder-Triplet in King’s Cross in zylindrisch errichtete Luxuswohnungen umgewandelt, das Stahlgerüst des vierten Behälters wurde versetzt und ist als Park öffentlich zugänglich. Ein aktuelles Projekt ist die Umwidmung des Gaswerks Augsburg zum Kulturpark West. Und es gibt zahlreiche weitere Beispiele.

All diese zylindrisch konstruierten Gasspeicher wurden für die industrielle Gaserzeugung aus Kohle im 19. oder frühen 20. Jahrhundert erbaut. Demgegenüber wurde der Kugelgasbehälter in Freiburg als Notspeicher für die Umstellung auf Ferngasbezug in den 1960er Jahren errichtet, er ist damit wesentlich jünger. Kugelgasbehälter wurden bislang kaum für Umnutzungen in Betracht gezogen. Eine Ausnahme ist das zum Planetarium umgebaute Galileum Solingen, das nicht unter Denkmalschutz steht. So war die Freiburger Gaskugel der einzige denkmalgeschützte Kugelgasbehälter, für den auf diesem Kongress ein neues Nutzungskonzept vorgestellt wurde.

Das innovative Freiburger Konzept wurde von Dr. Barbara Berger von der ETH Zürich und der Projektleiterin Dr. Heike Piehler gemeinsam vorgestellt. Barbara Berger ist Mitglied im Think Tank DIE KUGEL und will sich dankenswerterweise auch weiterhin als wissenschaftliche Netzwerkerin und Botschafterin für das Freiburger Bürgerprojekt engagieren.

Publikation zum Fachkongress:
Stati Generali del Patrimonio Industriale 2022
Ed. by Edoardo Currà, Marina Docci, Claudio Menichelli, Martina Russo, Laura Severi. Publisher: Marsilio Editori, Venice, 2022. ISBN 978-88-297-1666-1
Die Publikation ist nur als italienische Ausgabe und als E-Book erhältlich.

Links zu weiteren Informationen:
Barbara Berger:
Der Gasbehälter als Bautypus. TUM University Press, München 2019.
Beispiele für Umnutzungen stillgelegter Industriekultur-Bauwerke in Europa: https://reindustrialheritage.eu

Europäische Route der Industriekultur:
https://www.erih.de

(Text: Heike Piehler)

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