Was ist graue Energie? Nachhaltigkeit bei Gebäuden

Photo by Markus Spiske on Unsplash
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Alte Gebäude haben häufig einen schlechten Ruf: Sie seien nicht nachhaltig zu bewirtschaften und die oftmals antiquierte Bauweise führe zu einem hohen Energieverbrauch. Deshalb werden bestehende Gebäude oftmals als „Altlasten“ für künftige Entwicklungen empfunden: Zu teuer im Unterhalt, wenig energieeffizient, technisch nicht auf dem neusten Stand und hohe Kosten bei Abriss und Entsorgung. Trotzdem sind Altbauten mit ihren geräumigen Grundrissen, den hohen Decken und charmant-verspielten Fassaden begehrte Wohn- und Arbeitsflächen. Dieser Artikel möchte mit den alten Vorurteilen aufräumen und erklären, warum die Nachhaltigkeit von Bestandsgebäuden häufig unterschätzt wird.

Energieberechnung über den gesamten Lebenszyklus hinweg

Grundsätzlich gilt: um die Nachhaltigkeit eines Gebäudes zu beurteilen, sollten alle drei Phasen – Bau, Betrieb und Rückbau –  berücksichtigt werden. Die Bewertung von Materialien aus Sicht der Nachhaltigkeit ist ein junger, teilweise noch nicht umfassend erforschter und national sehr unterschiedlich gewichteter Arbeitsbereich, dem immer mehr Bedeutung beigemessen wird. Bei der Betrachtung von Bauwerken erfordert diese Bewertung umfassende Kenntnisse der im Lebenszyklus ablaufenden Prozesse und verwendeten Materialien. Orientierung und Hilfestellungen bietet hierzu die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e.V.) – diese veröffentlicht regelmäßig einen Katalog mit entsprechenden Durchschnittswerten verschiedener Bauteile.

Eine gute Übersicht dazu finden Sie unter folgendem Link:
https://www.dgnb-navigator.de/

Was ist graue Energie?

Die sogenannte graue Energie, bezeichnet die Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produktes – oder eines Gebäudes – aufgewendet werden muss. Sie ist also die in Gebäuden gebündelte Energie, die für Bau, Herstellung und Transport aufgewendet wurde. Vom Fundament bis zur Dachpfanne benötigt jedes Bauteil eine gewisse Menge Energie für die Herstellung und den Transport. Einige basieren auf endlichen Ressourcen wie Erdöl oder seltenen Erden, andere hingegen basieren auf nachwachsenden Rohstoffen, wie Holz oder anderen Pflanzen.

Dabei sind manche Materialien und Rohstoffe leichter herzustellen oder zu gewinnen als andere. Bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit eines Bestandsgebäudes sollte nun also nicht nur der aktuelle Energiebedarf für den Betrieb, sondern auch die bereits in den Mauern des Gebäudes gebundene graue Energie berücksichtigt werden. Häufig überwiegt der Anteil an grauer Energie den Anteil der im Betrieb eines Gebäudes eingesetzten Energie.

Energiebedarf über den gesamten Lebenszyklus betrachten

Betrachtet man den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, so verliert ein relativ geringer Energieaufwand im Betrieb an Bedeutung gegenüber dem Aufwand, der in den Phasen Bau und Rückbau entsteht. Erst mit zunehmender Nutzungsdauer relativieren sich die Anteile für die eingebrachte Primärenergie, die graue Energie. Diese können aber nie ganz verschwinden. Vergleichen wir nun ein Bestandsgebäude mit einem Neubau, dann kann ein 100 Jahre altes Gebäude demnach häufig trotz geringerer Energieeffizienz im Betrieb eine bessere Energiebilanz aufweisen, als beispielsweise ein neugebautes Passivhaus. Dieses weist nämlich häufig aufgrund der verwendeten Materialien einen hohen Anteil an grauer Energie auf. Konkret bedeutet das, dass das Passivhaus perspektivisch über einen deutlich längeren Zeitraum genutzt werden müsste um den hohen Bedarf an Primärenergie auszugleichen. Am Ende eines solchen Vergleichs steht außerdem noch der Energieeinsatz für den Rückbau des Gebäudes. Der Abbruch eines bestehenden Gebäudes bedarf einer teils beträchtlichen Menge an Energie. Auch diese muss berücksichtigt werden. 

Umnutzung und Kreislaufwirtschaft

Vor dem Hintergrund das dem Umweltbundesamt zufolge der Bausektor zu den Ressourcenintensivsten Wirtschaftssektoren gehört, ist eine Ressourcenschonende und nach Nachhaltigkeit ausgerichtete Kreislaufwirtschaft und damit die Minimierung von Bau- und Abbruchmaterialien essentiell.

Die Erhaltung durch Um- und Weiternutzung der bestehenden Bausubstanz vermeidet dabei effektiv die Entstehung solcher Abfälle und die aufgewendete Menge an Primärenergie.

Energiebilanz von Gebäuden auf ihre Lebenszeit

Für Bauwerke ist eine Lebensdauer von hundert Jahren nicht ungewöhnlich. Sie entwickeln sich im Laufe ihres Bestehens weiter und passen sich in ihrer Funktion ihren Nutzern an, das Bauwerk an sich bleibt jedoch bestehen. Hochwertige Baustoffe mit wenig Austausch und reduziertem Pflegeaufwand können bei einem Gebäude mit hohem Betriebsenergiebedarf zu Optimierung des Grauen Energiebedarfs und somit gleichzeitig auch zu einer langfristigen Nutzung führen.

Bereits verhältnismäßig kleine energetische Maßnahmen in der Sanierung verbessern – auf die Lebenszeit gesehen – erheblich, die Bilanz eines bestehenden Gebäudes.

Planer und Architekten stehen in der Pflicht verantwortungsvoll mit der vorhandenen Bausubstanz umzugehen und zukunftsorientiert zu planen.

Die Wahl der Materialien ist entscheidend

Auf Anhieb scheint es naheliegend, bei der Auswahl von Materialien auf eine hohe Dauerhaftigkeit Wert zu legen. Dabei ist aber zu beachten, dass diese nicht bei jeder Bauaufgabe erforderlich ist und sich unter Umständen sogar als negativ auf die Nutzungsflexibilität auswirken kann. Denn nicht immer sind materialbedingte Mängel die Gründe für einen Austausch und Änderungen an der Bausubstanz. Häufig sind es gestiegene technische oder ästhetische Anforderungen, die dazu führen.

Fazit

Die Baukultur von morgen wird durch visionäre Bauten und interessanten Interpretationen des Zeitgeistes geschaffen, dabei sollten Nachhaltigkeitsaspekte und die Anpassungsfähigkeit von Gebäuden im Laufe der Zeit mit einfließen und vorhergesehen werden. Nachhaltiges Bauen bedeutet nicht ausschließlich Bauwerke zu errichten, sondern auch den Gebäudebestand zu erhalten. Dieser prägt das Erscheinungsbild unserer Städte und Gemeinden und erlebt langfristig eine hohe Wertschätzung.

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Artikel aus der Zeitschrift „Denkmalsanierung 2019/2020“ von Dr. Diana Wiedemann