Grundlagenpapier der Stiftung BauKulturerbe gGmbH

Fachwerk der Weserrenaissance in der Mittelstraße in Lemgo, Nordrhein-Westfalen

Besonders erhaltenswerte Bausubstanz umfasst alle Gebäude, Gebäudeensembles und Siedlungsteile, deren gestalterische  Überformung oder Abbruch zu einem Verlust des charakteristischen Erscheinungsbildes von Dorf, Stadt und Region beitragen und die Erlebbarkeit von gebauter Orts- und Stadtgeschichte beeinträchtigen würde.

Die besonders erhaltenswerte Bausubstanz in der kommunalen Stadtentwicklung, BMUB (heute BBSR) 2014

Wirkung von Gebäuden

Jedes Gebäude in unseren Städten und Dörfern hat durch seine äußere Form, die Gestaltung und der Größe eine Außenwirkung auf die Umgebung. Es kann kunstvoll verziert, schlicht funktional oder machtvoll überhöht dastehen. Es wirkt in jedem Fall auf die Menschen, die in dieser Umgebung leben und damit auf die gesamte Gesellschaft.

So kann ein herausragendes Einzelgebäude als Mahnmal, als Denkmal oder als Leuchtturmgebäude wirken – damit liegt die Bedeutung des Bauwerks in sich selbst, seiner Geschichte oder den Ursprüngen seiner Entstehung begründet und es kann als Solitär dastehen. Diese Gebäude sind oft Anziehungspunkt für Touristen oder Architekturexkursionen. Sie haben Signalwirkung, fordern Debatten heraus oder verkörpern Geschichte und politische Strömungen.

Dagegen haben Gruppen von Gebäuden als Ensembles oder Quartiere in ihrer Gesamtheit eine Auswirkung. Beispiele dafür sind die Fachwerkgebäude in Altstädten, die Gründerzeitquartiere, die in vielen Städten am Ende des 19. Jahrhundert entstanden sind oder auch die Gartenstädte der 1920er Jahre.

Ein Drittel unserer Gebäude werden als besonders erhaltenswert eingestuft

Entscheidend für die Attraktivität einer Ortschaft, einer Stadt oder eines Stadtteils ist selten ein Einzelgebäude. Es ist die Summe der Gebäude, die das Erscheinungsbild prägen und die mit ihrem Baustil und ihrer Baukultur das kulturelle Erbe ihrer Bauzeit verkörpern.

Wichtig ist eine weitere fast unbekannte Zahl – nämlich die Anzahl der Gebäude mit sonstiger besonders erhaltenswerter Bausubstanz. Denkmalschützer schätzen diese Zahl auf 25 – 35% aller Gebäude. Es sind all jene Gebäude, die zwar historisch (einer früheren Zeit angehörend), aber nicht denkmalgeschützt sind, weil sie im Lauf der Jahre zahlreichen Veränderungen unterworfen werden oder weil der Bautypus in der jeweiligen Stadt oder Gemeinde sehr zahlreich vorhanden ist.

Dabei sind es oftmals diese Gebäude, die das Erscheinungsbild eines Stadtteils, eines Quartiers oder eines Dorfes ausmachen. Diese Bauten sorgen für die Attraktivität der gebauten Umwelt und schaffen damit auch eine Nachfrage- und Wertsteigerung der Immobilien.

Der Denkmalschutz ist oft nicht ausreichend

Bundesweit liegt der Anteil der klassifizierten Baudenkmale am Gesamtgebäudestand bei rund 3%. Wenn von 100 Gebäuden nur drei unter Denkmalschutz stehen, dann werden diese drei Gebäude zwar als Zeitzeugen bestehen bleiben, das typische Ortsbild kann aber weiterhin durch Abriss und Umbau stark verändert werden. Die tatsächlich denkmalgeschützten Gebäude reichen also nicht aus, um unsere bebaute Umwelt in ihrer Ausprägung zu erhalten. Die Architektur bzw. Baukultur eines gesamten Ensembles kann so, trotz strenger Denkmalauflagen, langfristig verloren gehen.

Deshalb ist es wichtig, die historischen, jedoch nicht denkmalgeschützten Gebäude zu erhalten und vor dem Abriss und zu starker Veränderung in der äußeren Gestalt zu schützen.

Drohender Verlust der Identität

In Zeiten der Wohnungsknappheit, wie wir sie im Moment erleben, und der Notwendigkeit zum verdichteten Bauen in den Städten und Gemeinden – wegen gestiegener Grundstückspreise und knapper werdender Baulandreserven – besteht die Gefahr, dass durch Abriss und Veränderung der Gebäude das Erscheinungsbild der Quartiere und Siedlungen grundlegend verändert wird.

Dabei schlägt sich der Verlust von historischer Bausubstanz und der Baukultur nicht nur in akademischen Zahlen und Geschichtsforschungen nieder, sondern ist ein gesellschaftliches Problem mit echten Konsequenzen. Dem Verlust der historischen Baukultur folgt der Verlust der Identifikation und der Verbundenheit mit dem Ort. Die Menschen verlieren mehr und mehr den Bezug zu ihrer Umgebung. So nimmt auch die Verantwortlichkeit für das eigene Handeln ab, was zu einer Degradierung des eigenen Umfeldes führt.

Altbau und Nachhaltigkeit

Wenn ein Bankgebäude der 80er Jahre abgerissen wird, um einem Neubau Platz zu machen, der große Ähnlichkeiten im Erscheinungsbild hat, jedoch 3 Etagen höher ist, kann dies nur als Energievergeudung bezeichnet werden.

Dr. Diana Wiedemann

Ein weiterer Grund für den Abriss oder dem optischen Verlust von historischer Bausubstanz sind falsch verstandene energetische Sanierungen. Die staatlichen Bestrebungen zum Klimaschutz und zur CO2-Minderung sind sehr begrüßenswert und haben bereits zu teils beträchtlichen Einsparungen geführt. Im Bereich der energetischen Sanierung wird jedoch das Thema Graue Energie, die Energie, die für Herstellung, Lagerung, Transport und Rückbau der Einzelteile benötigt wird, häufig nicht berücksichtigt.

Historische Gebäude sind per se nachhaltig, weil sie ihre angesetzte Nutzungszeit bereits erfüllt oder sogar mehrfach überlebt haben. Diese Gebäude nach heutigen Energiestandards vollumfänglich zu dämmen, und mit den Neubauvorgaben zu vergleichen, bedeutet, die Vorteile dieser Gebäude zu negieren und zu vernachlässigen.

Der wirtschaftliche Betrieb und die Einhaltung moderner Nutzungsanforderungen müssen selbstverständlich auch bei Bestandsgebäuden gewährleistet werden. So sollten bei der Berechnung von energetischen Einsparmaßnahmen auch der Energieaufwand für Produktion und Transport von beispielsweise Dämmmaterialien genauso Berücksichtigung finden, wie die äußere Erscheinungsform des zu sanierenden Gebäudes und dessen Umfelds. In vielen Fällen käme eine typische Außenwanddämmung dann nicht mehr in Frage. Realisierte Beispiele zeigen eine gute Energie- und Klimabilanz, trotz vergleichsweise moderater Dämmmaßnahmen.

Das Engagement der Stiftung

Die Davos-Erklärung vom Januar 2018, die am Rande des Wirtschaftsgipfels in der Schweiz entstand, spricht von einer „Trivialisierung des Bauens, […] einem fehlenden Interesse für Nachhaltigkeit, in zunehmend gesichtslosen Agglomerationen […] und [einem] Verlust regionaler Identitäten und Traditionen.“  Die Stiftung BauKulturerbe gGmbH wurde gegründet, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern und sich für den Erhalt und die Weiternutzung des gebauten Erbes einzusetzen. Dabei geht es um Vielfalt und die Heterogenität im Baubereich, die von historischen Gebäuden gebildet werden.

Die Stiftung BauKulturerbe gGmbH möchte kulturell wertvolle – jedoch nicht notwendigerweise denkmalgeschützte – alte Gebäude erhalten. Der Fokus liegt somit nicht bei jenen Baudenkmalen, für die es bereits viele Initiativen und Organisationen gibt, sondern bei der sonstigen besonders erhaltenswerten Bausubstanz.

Kategorien

Aktuelle Beiträge

Klimaschutz und Baukultur

Artikel aus der Zeitschrift „Denkmalsanierung 2019/2020“ von Dr. Diana Wiedemann