5 Thesen zu besonders erhaltenswerter Bausubstanz

Frontansicht einer alten Häuserzeile
Bild von Adobe Stock

Wer das erste Mal durch die Altstadt von Freiburg schlendert, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Ein altes Gebäude reiht sich an das nächste. Die Straßen sind verwinkelt. Kleine Gässchen mit Kopfsteinpflaster. Dazu die Menschenströme. Verschiedene Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und viele weitere. Das Angebot ist groß. Unterschiedlichste Geschäfte, vom privaten Einzelhandel bis zu den Filialen bekannter Einkaufsketten. Man bekommt den Eindruck, die Stadt lebt und vibriert. Wer von montags bis samstags am Vormittag aus einer der kleinen Gassen auf den Münsterplatz tritt, der darf nicht nur das alte Münster bestaunen, sondern erlebt auch das geschäftige Treiben auf dem Wochenmarkt. Als Zugezogener fragt man sich da: Wie machen die das? Für viele Freiburger hingegen ist das eine Selbstverständlichkeit. Ihre Stadt ist nun mal wie sie ist. Erst wenn Freunde oder Familie zum ersten Mal die Stadt besuchen, sehen Sie ihre Heimat nochmals mit anderen Augen. Was macht also eine Stadt so attraktiv? So lebendig? Und so lebenswert? Was führt dazu, dass eine Stadt wirtschaftlich stark ist und einen Immobilienmarkt aufweist, der seit Jahrzehnten boomt? Es ist in erste Linie ihre Bausubstanz. Denn eine Stadt setzt sich zwar aus vielen Facetten zusammen, aber keine davon ist auf den ersten Blick so prägend wie die Gebäude, die sie ausmachen. Immer mehr Städte erkennen das Potential. Im diesem Artikel möchte ich deshalb fünf Thesen zu besonders erhaltenswerter Bausubstanz (beB) vorstellen.

1. Ohne beB werden unsere Städte und Gemeinden gesichtslos

Ein alter Leuchtturm, der futuristische Gasspeicher vor den Toren der Stadt, eine intakte Siedlung aus den 50er Jahren. Besonders erhaltenswerte Bausubstanz kann all die Gebäude umfassen, die unsere Städte und Gemeinden prägen und ihnen ihren unvergleichlichen Charakter bescheren. Sie haben Signalwirkung. Sie bieten Wiedererkennungswert und sie stiften Identität für die An- und Bewohner. Die Geschichte und die Kultur eines Ortes spiegeln sich direkt in seiner Bausubstanz wieder. Ohne diese Bausubstanz würden viele Städte und Gemeinden ihr Gesicht verlieren.

2. Ohne die beB verlieren wir einen Großteil unseres baulichen Erbes

Jedes Bauwerk ist ein Stück Geschichte. In ihnen werden zeitgenössische Bau- und Denkweisen, Weltanschauungen und technologische Entwicklungen konserviert. Sie verkörpern Traditionen, Geschichte und politische Strömungen und bilden so unser (bau)kulturelles Erbe. Sie sind also begehbare Relikte aus einer früheren Zeit und somit fast wie ein öffentliches Freilichtmuseum. Frei zugänglich und bewohnt.

Neue oftmals rein funktionale Bauten sind dagegen gesichtslos und verändern stark den Charakter und die gewachsene Struktur eines Ortes. Das trifft natürlich besonders zu auf markante Einzelgebäude, die abgerissen oder bis zur Unkenntlichkeit verändert werden. Aber auch ganze Siedlungen und Gebäudegruppen, mussten in der Vergangenheit Neubauten weichen. Viele Städte haben Beispiele bei denen ein Abbruch im Nachhinein bitter bereut wurde. In der Nachkriegszeit etablierte sich beim Bau teilweise sogar eine Kultur der Verdrängung und des Vergessens und so wurden die Überreste alter Bauten ganz abgerissen.

3. beB sichert langfristig den Wert von Immobilien

Der anhaltende Bauboom der letzten Dekade hat vielerorts zu massivem Druck auf die Immobilienmärkte geführt. Die Mieten für Gewerbe- und Wohnräume steigen seit Jahren. Neben Mietertragspotential und Lage einer Immobilie ist aber auch ihre Substanz entscheidend für langanhaltenden Werterhalt. Aktuelle Bestrebungen schnell ausreichend Wohnraum zu schaffen, sind zwar politisch gewollt und teilweise auch gefördert, in Wahrheit aber verschlafene Reaktionen auf Probleme, die schon vor Jahrzehnten (vor der großen Privatisierungswelle) gewachsen sind. Die historische Bausubstanz in den Städten und Vororten muss dann oft neuem billigen Wohnraum oder Gewerbeflächen weichen, die aufgrund ihrer Bauweise nur kurz- bis mittelfristig als Lösung dienen. In den großen Städten sind es immer wieder die Quartiere und Stadteile mit Charakter, die eine solide Nachfrage und Immobilienpreise nach sich ziehen. Isolierte oder rein funktionale Bauwerke, die beispielsweise keinen Stadtraum schaffen, sind langfristig die schlechtere Investition.

4. beB bietet Städten viele Vorteile im internationalen Wettbewerb

Die Welt wird zum Dorf und gerade innerhalb der EU konkurrieren die Städte untereinander um Fachkräfte, Unternehmen und Investoren, aber auch Kunst, Kultur und öffentliche Fördermittel, Tourismus, Forschungseinrichtungen und Universitäten. Dabei spielt die aktuelle Attraktivität und Lebensqualität heute wie in Zukunft eine immense Rolle. Immer wieder gibt es neue Gewinner und Verlierer. Durch die Freizügigkeit offener Grenzen können Menschen und Kapital schnell den Ort wechseln. Die Erfahrung zeigt, dass sich Städte mit Geschichte und einer intakten Bausubstanz langfristig besser abschneiden als Städte ohne gewachsene Strukturen.

5. beB ist „von Haus aus“ nachhaltig

Alte Gebäude werden im Rahmen energetischer Sanierungen häufig mit Neubauten verglichen. Durch dieses Vorgehen werden diese Gebäude oft „tot gerechnet“. Konkret bedeutet das, dass Umbau und anschließende Nutzung – zumindest auf dem Papier – wirtschaftlich nicht sinnvoll sind. Bei diesen Berechnungen wird aber in der Regel die sogenannte Graue Energie nicht berücksichtigt. Graue Energie bezeichnet die Energie, die bei Herstellung, Transport und Lagerung von Produkten oder Materialien verwendet wird.

Weitere Informationen zu grauer Energie finden Sie in diesem Artikel.

Bestandsimmobilien – und gerade die mit besonders erhaltenswerter Bausubstanz – haben hinsichtlich ihrer energetischen Amortisation die notwendige Nutzungsdauer überschritten. Im Betrieb sind diese Gebäude zwar nicht so effizient  wie ein Neubau, dafür haben Sie bereits gespeicherte Energie, die nicht durch Abbruch und Neubau freigesetzt werden muss. Denn für ein neues Gebäude müssen Roh- und Baustoffe gewonnen und hergestellt werden, dazu kommen der Transport und die Montage vor Ort. All das wiegt häufig mehr als die Einsparungen durch eine effizientere Nutzung. Zumal auch die Energieeffizienz von Altbauten durch fachkundige Maßnahmen erfolgreich verbessert werden kann. Die DGNB e.V. bietet Kataloge zum Primärenergiebedarf verschiedener Bauteile und –stoffe.

Fazit

Viele gute Gründe sprechen für den Schutz von besonders erhaltenswerter Bausubstanz. Deshalb setzt sich die Stiftung BauKulturerbe aktiv für deren Erhalt ein. Mehr Informationen zu unserer Arbeit und den Hintergründen der Stiftung finden Sie auf diesen Seiten.

Kategorien

Aktuelle Beiträge

Klimaschutz und Baukultur

Artikel aus der Zeitschrift „Denkmalsanierung 2019/2020“ von Dr. Diana Wiedemann